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Nicht nur bei und über WirHelfen.eu betätigen sich Freiwillige ehrenamtlich. Wer sind diese Menschen? Und was treibt sie an? Der Pfarrer und Forscher Dr. Stephan Seidelmann kennt die Antworten.

Vor mir liegt das Foto einer Freizeit. Es zeigt die Jugendlichen am letzten Tag, die die Verantwortung für die Freizeit übernommen haben. Ihre Augen sind müde, aber sie lachen glücklich und stolz. Eine Woche lang haben sie sich um 30 Kinder gekümmert. Jeden Morgen haben sie lauthals das Lied „Danke für diesen guten Morgen“ gesungen. Riesige Berge von Spaghetti haben sie gekocht und Töpfe voller Tomatensauce. Abends haben sie manche Kinder getröstet, die Heimweh hatten. Sie können glücklich und stolz sein. Sie haben über den Spaß hinaus vielen Kindern den Kontakt zu Gleichaltrigen und die Idee von Gemeinschaft vermittelt. Warum aber bringen sich die Jugendleiter ein, in ihrem eigenen Urlaub?

Foto: Ray Sangga Kusuma via unsplash

„Das gehört für mich einfach dazu“, höre ich auf meine Frage, „so sind wir jedes Jahr wieder miteinander verabredet, um gemeinsam wieder eine Freizeit zu organisieren.“ Gemeinschaft erfahren ist vielen Jugendleitern wichtig. Diese Beobachtung steht im Kontrast zu der vielfach vertretenen Theorie des Neuen Ehrenamts. Demnach ist es für die Ehrenamtlichen mehr und mehr von Bedeutung, eigene Interessen zu verwirklichen. Persönliche Vorteile und ein Nutzen aus einem Ehrenamt scheinen wichtig zu sein. Für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen könnten das Nachweise über ihr Engagement und entsprechende Qualifizierungsnachweise sein, die sie bei Bewerbungen vorlegen können, umso ihre Bewerbungschancen zu erhöhen. 

Persönliche Vorteile, eigene Interessen zu artikulieren, ist nicht immer angebracht. Das gilt auch in einer anonymisierten Befragung einer Untersuchung. Daher werden erst in einem zweiten Schritt die Aussagen zu den Motiven der Ehrenamtlichen untersucht. In einem ersten Schritt werden die Daten zur Lebenssituation und den Grundhaltungen der Befragten anhand des Freiwilligensurveys ausgewertet (FWS). Der Freiwilligensurvey (FWS) ist eine der wichtigsten Erhebungen zum Ehrenamt in Deutschland. Seit 1999 wird die Studie alle fünf Jahre im Auftrag der Bundesregierung durchgeführt. Zufällig wird eine repräsentative Zahl von Deutschen zu ihrem Engagementverhalten befragt.

Dr. Stephan Seidelmann; Bild @ Lukas Barth

1. Ausgangspunkt eines Ehrenamts: Werte leben

In Deutschland bringen sich Menschen unterschiedlichen Alters ein – Jugendliche, Mütter und Väter, wie auch Ältere. Den einen typischen Ehrenamtlichen gibt es nicht. Dennoch lässt sich eine Tendenz nachweisen: Vor allem Männer und Frauen(1) in Westdeutschland, mittleren Alters und mit guter Schulbildung bringen sich freiwillig ein. Ihre finanzielle Lage schätzen sie häufig als sehr gut oder gut ein. Ehrenamtliche sind also finanziell abgesichert, was bei einer unentgeltlichen Tätigkeit nicht zwingend, aber von Vorteil ist. Anhand einer eingehenden, statistischen Analyse lässt sich allerdings auch zeigen: Ob ein Mensch ein Ehrenamt übernimmt, ist nicht in erster Linie nicht auf seine ökonomische Situation zurückzuführen.(2)

Ist es keine Frage der materiellen Absicherung, ob ein Mensch ein Ehrenamt übernimmt, so könnten immaterielle Gründe zentral sein. Tatsächlich geben freiwillig Engagierte – im Unterschied zu Befragten, die sich nicht ehrenamtlich einbringen, dass es ihnen im Leben wichtig ist, sozial Benachteiligten zu helfen. Eine andere Wertvorstellung, die ebenfalls unter Ehrenamtlichen besonders markant ist, ist die Entfaltung der eigenen Kreativität und Phantasie. Offensichtlich sind Ehrenamtliche geprägt von einer altruistischen Lebenshaltung, bei der es aber auch wichtig ist, sich selbst zu entfalten.(3)

Freiwillig Engagierte bringen sich ein, wollen helfen und mitgestalten. Diese aktive Haltung spiegelt sich auch in der Regressionsanalyse wieder: Besonders charakteristisch für Ehrenamtliche sind eine Reihe wertgeleiteter Merkmale wie die Spendenbereitschaft, die Bindung an die Kirche und die Größe des Freundeskreises. Freiwillig Engagierte spenden daher häufiger und größere Summen. Auch sind sie häufiger Kirchenmitglieder und geben an, sich der Kirche verbunden zu fühlen. Der Freundes- und Bekanntenkreis von Ehrenamtlichen ist größer als der Menschen, die sich nicht einbringen.(4)

Ausschlaggebend für die Bereitschaft, sich zu engagieren, ist die Bereitwilligkeit,  Werte zu leben, sich aktiv für die eigenen Vorstellungen einzusetzen. Die Übernahme eines Ehrenamts ist wertgeleitetes Handeln, was sich auch in den Erwartungen an das Ehrenamt widerspiegelt.(5)

Offensichtlich sind Ehrenamtliche geprägt von einer altruistischen Lebenshaltung, bei der es aber auch wichtig ist, sich selbst zu entfalten.

2. Anderen helfen, Gemeinschaft erleben und sich selbst entfalten

Typisch für Ehrenamtliche ist eine philanthropische Haltung: Anderen Menschen helfen ist ein zentraler Wert, wie auch soziale Kontakte. Dieses Ergebnis aus dem letzten Kapitel bestätigt sich im Hinblick auf die Motive der Befragten. Der Großteil der Befragten stimmt Motiven zu, die die Hilfe für andere thematisieren. 

„Altruistische Aspekte stellen (…) wichtige Motive dar. Die Möglichkeiten, anderen Menschen zu helfen (88,5 Prozent) und etwas für das Gemeinwohl zu tun (87,5 Prozent), sind anteilig häufige Beweggründe für freiwilliges Engagement. Von den Engagierten geben 80,4 Prozent an, dass sie ihr Engagement ausüben, um dadurch die Gesellschaft zumindest im Kleinen mitzugestalten. Der soziale Aspekt – nämlich die Gelegenheit mit Menschen zusammen zu kommen – ist für mehr als zwei Drittel aller Engagierten (72,4 Prozent) wichtig. Auch die Erfahrung, selbst vom Engagement anderer profitiert zu haben, ist für viele Engagierte relevant: 63,1 Prozent von ihnen sagen aus, sie würden ihr Engagement aus diesem Grund betreiben. Persönlicher Gewinn jenseits von Spaß und sozialer Einbettung scheint für Engagierte ebenfalls ein relevantes Motiv zu sein, welches allerdings den eben genannten nachgeordnet wird.“(6)

Die Ergebnisse des Freiwilligensurveys 2019 bestätigen die Ergebnisse der früheren Erhebungen: Die Hilfe für andere und das Zusammentreffen mit sympathischen Menschen ist den meisten Ehrenamtlichen wichtig. Ein Teil der Ehrenamtlichen kombiniert diese Erwartungen mit eigenen Interessen, wie eigene Kenntnisse zu erweitern oder auch Anerkennung zu finden. Offenbar versteht ein Teil der Befragten das Ehrenamt tatsächlich als eine Möglichkeit, sich selbst zu entfalten. Allerdings wäre es falsch, hieraus den Schluss zu ziehen, dass diese Ausrichtung der Motivation unter den Ehrenamtlichen zunehmen würde.(7)

Für die Jugendlichen, die ich eingangs erwähnt habe, soll alles so bleiben, wie es jedes Jahr im Sommer ist. Sie reservieren noch bei der Abfahrt wieder die Hütte für das nächste Jahr und freuen sich auf das Wiedersehen.

Dr. Stephan Seidelmann, Foto @ Jasmin Totschnig

Quellenverzeichnis

(1) Vgl. Simonsen/Kelle/Kausmann/Karnick/Arriagada/Hagen/Hameister/Huxold/ Tesch-Römer, Zentrale Ergebnisse des Fünften Deutschen Freiwilligensurveys (FWS 2019), S. 15 ff. Laut den Daten des fünften FWS bringen sich Frauen und Männer in etwa gleich stark freiwillig ein. In den früheren Erhebungen über- nahmen Männer deutlich häufiger ein Ehrenamt als Frauen. Andere soziostrukturellen Merkmale freiwillig Engagierter haben sich im Untersuchungsverlauf nicht verändert.

(2) Vgl. Seidelmann, Altruismus, Geselligkeit, Selbstentfaltung, S. 87 ff. und 91 ff.

(3 )Vgl. Seidelmann, Altruismus, Geselligkeit, Selbstentfaltung, S. 110 ff.

(4) Vgl. Kausmann/Karnick, Geldspenden und freiwilliges Engagement, S. 134 ff. und Simonson/Kelle/Kausmann/Tesch-Römer, Unterschiede und Ungleichheiten im freiwilligen Engagement, S. 78 f.

(5) Vgl. Seidelmann, Altruismus, Geselligkeit, Selbstentfaltung, S. 114 ff. und 117 ff.

(6) Arriagada, C. und Karnick, N.: Motive für freiwilliges Engagement, Beendigungsgründe, Hinderungsgründe und Engagementbereitschaft, S. 119.

(7) Vgl. Seidelmann, Altruismus, Geselligkeit, Selbstentfaltung, S.159 ff.

Literaturverzeichnis

Arriagada, C. und Karnick, N.: Motive für freiwilliges Engagement, Beendigungsgründe, Hinderungsgründe und Engagementbereitschaft in: Simonson, J./Kelle, N./Kausmann, C./Tesch-Römer, C [Hrsg.]: Freiwilliges Engagement in Deutschland – Der Deutsche Freiwilligensurvey 2019, S.112-133. 

Kausmann, C. und Karnick,N.: Geldspenden und freiwilliges Engagement, in: Simonson, J./Kelle, N./Kausmann, C./Tesch-Römer, C [Hrsg.]: Freiwilliges Engagement in Deutschland – Der Deutsche Freiwilligensurvey 2019, S. 134-145.

Seidelmann, S.: Altruismus, Geselligkeit , Selbstentfaltung – Motive Ehrenamtlicher in der evangelischen Kirche, Freiburg i. B. 2016.Simonson, J./Kelle, N./Kausmann, C./Karnick, N./Arriagada, C./Hagen, C./Hameister, N./Huxhold, O./Tesch-Römer, C.: Freiwilliges Engagement in Deutschland – Zentrale Ergebnisse des Fünften Deutschen Freiwilligensurveys (FWS 2019).

Redaktion/Editorial

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