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Es war Juli und die Sommerferien standen vor der Tür. Ines Uhlenbroich freute sich auf drei Wochen Urlaub. Mit ihrer Tochter irgendwohin fahren, wollte sie. Doch dann kam die Flut und riss alles mit sich. Statt Urlaub brach der blanke Horror herein. Und ehe Ines sich versah, wurde sie zur Managerin über das Chaos und zum Hilfeengel im ganzen Ort. Unterstützung und Fluthilfe kam auch von WirHelfen.eu.

Ines Uhlenbroich wohnt in Euskirchen-Roitzheim. Die Erft fließt rund 70 Meter vor dem Haus, in dem sie im ersten Stock wohnt. Die Erft ist ein kleines, ruhiges Flüsschen. Normalerweise. Mitte Juli zog ein heftiges Starkregengebiet über Westdeutschland hinweg und verwandelte das beschauliche Flüsschen in einen todbringenden Strom, der die Region überschwemmte und alles mit sich riss, was ihm im Weg war.

„Ich sah zwei Frauen in den Fluten treiben, sie haben geschrien und konnten sich nicht mehr ans Ufer retten“, erzählt Ines. Noch immer hört sie manchmal im Traum die Stimmen der Frauen und will ihnen hinterher in die Fluten springen, um ihnen zu helfen. Doch hätte sie das getan, dann wäre sie selbst jetzt auch nicht mehr, ist sie fest überzeugt.

Ines, Nadine und freiwillige Helfer vor Ort in Roitzheim

Ines Uhlenbroich, Nadine Keller und freiwillige Helfer*innen (u. a. auch von WirHelfen.eu) posieren fürs Gruppenfoto. © Foto: privat  

Kaffee, Brötchen und mehr

Die Wohnung von Ines liegt im 1. Stock über einer Kneipe. Nach dem Starkregen war der Boden des Gastraums voller Schlamm und draußen stand Ines das Wasser bis auf Brusthöhe. Nachdem sie zunächst mitgeholfen hatte, die Kneipe vom gröbsten Wasser und Schlamm zu reinigen, machte Ines sich nützlich. „Bei mir zu Hause war ja alles in Ordnung, bis darauf, dass wir in den ersten Wochen keinen Strom hatten“, berichtet Ines.

„Es war für mich selbstverständlich, mit anzupacken. Ich habe dann angefangen, die Nachbarschaft und die Helfer*innen mit Kaffee und belegten Brötchen zu versorgen.“ Von den offiziellen Stellen aus dem Ort war bis dato keine Information oder Hilfe gekommen. Also kam der erste Nachbar zu Ines und fragte nach Unterstützung.

„Hilfe funktionierte über Mund-zu-Mund-Propaganda“

„Ich weiß gar nicht mehr, ob das Gummistiefel, eine Schubkarre oder Müllsäcke waren, die die Helfer dringend brauchten“, erinnert sich Ines. Sie versprach, sich zu kümmern und das Gesuchte herbeizuschaffen. So nahm alles seinen Anfang. Woher die Menschen, die bei ihr anriefen und um Hilfe baten, ihre Handynummer hatten, weiß Ines nicht. „Das funktionierte über Mund-zu-Mund-Propaganda, innerhalb kurzer Zeit hatte ich ein paar Hundert neue Kontakte in meinem Handy“, berichtet sie. Es kamen auch Anrufe von außerhalb. Sowohl Menschen, die in der Umgebung wohnten und Hilfe brauchten, meldeten sich, als auch Menschen, die aus der halben Republik anreisten, um zu helfen. Ines vermittelte und organisierte. In einem Saal sammelten die Helfer*innen zunächst unverderbliche Lebensmittel, Brot, Milch und Dinge des täglichen Bedarfs wie Hygieneartikel und gaben sie an die Menschen aus.

Wirhelfen.eu unterstützt mit Hilfsgütern

Die Wassermassen hatten alle Zufahrten zum Ort bis auf eine einzige Straße zerstört. Dreieinhalb Wochen gab es keinen Strom. Gewärmt wurde das Essen auf Campingkochern oder es wurde gegrillt.

Zwischenzeitlich war über Volker Vollrath, einen Bekannten von Regina Roos, ehrenamtliches Mitglied bei WirHelfen.eu, eine weitere Hilfsaktion angelaufen. Vollrath, aus dem Kreis Bergstraße in Hessen, wollte unbürokratisch Gutes tun und bekam über einen Kontakt beim örtlichen Sportverein den Tipp, dass Euskirchen-Roitzheim dringend Hilfe brauche. Er und Regina organisierten weitere Hilfslieferungen. „Wir fragten bei Baumärkten oder anderen Fachgeschäften die Waren an, die im Flutgebiet gerade am dringendsten gebraucht wurden“, erinnert sich Regina. „Ob das Gummistiefel oder Schubkarren waren, wir haben erstmal alles genommen“, ergänzt sie.

Über WirHelfen.eu konnte Regina den Spendern entsprechende Spendenquittungen ausstellen, was die Spendenbereitschaft erheblich steigerte. Die Waren lud Regina um in Volkers LKW. Es waren auch ein Grill und das entsprechende Grillgut dabei. Eine frische Bratwurst, wie sie von dem Hilfskonvoi aus dem Odenwald geliefert wurde, hat abends die gedrückte Stimmung wieder etwas gehoben. „Schließlich verbindet ein leckeres Essen die Menschen und hält Leib und Seele zusammen“, meint Regina.

„Woher nimmst du bloß deine Kraft?“ – „Ich weiß es nicht!“

Währenddessen lebte Ines ihre mehr oder weniger zufällige Berufung zur Krisenmanagerin aus. „Ich hing praktisch von morgens um 6 Uhr bis nachts um 1 Uhr am Telefon und vermittelte Hilfen“, erzählt Ines. „Die Leute haben mich gefragt, woher ich die Kraft nehme und ich habe gesagt: ‚Ich weiß es nicht, ich funktioniere einfach‘.“ Sie sei eine Powerfrau, die immer etwas zu tun brauche.

Nach einigen Wochen kannte im Ort jeder jeden, und Ines hatte Unterstützung für ihre „One-Woman-Show“ in Nachbarin Nadine Keller gefunden. „Da musste erst so was Schlimmes passieren, damit wir uns hier alle kennenlernen“, meint sie. Die Hilfsbereitschaft im Ort und auch die der auswärtigen Helfer überwältigen sie noch heute. Oder wie es Volker Vollrath formuliert: „Wir kamen als Fremde und gingen als Freunde.“

Fluthilfe: „Sprachlos, was alles möglich ist“

Aus Bayern, aus Sachsen und anderen Orten der Bundesrepublik kamen Bauern mit Traktoren und Anhängern und halfen mit, den ganzen Schutt auf Deponien abzutransportieren. Ein Restaurant aus der Umgebung, dessen Gastraum zerstört war, lieferte über Monate täglich über 100 Essen an die Helfer*innen aus. Ines: „Ich bin immer noch sprachlos darüber, was alles möglich ist, wenn Menschen sich gegenseitig helfen.“ Mittlerweile haben Ines und Nadine die Öffnungszeiten ihres Hilfsangebots auf das Wochenende verkürzt. Und sie ergänzt: „Wir machen auf jeden Fall noch so lange weiter, wie unsere Hilfe gebraucht wird.“

 

Sabine Hombach

Sabine Hombach

Sabine Hombach schloss Ende der 1990er Jahre ihren Magisterstudiengang in Soziologie, Anglistik und Romanistik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ab. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Redakteurin für Intranet und Mitarbeitermagazin in der Konzernkommunikation einer deutschen Großbank in Frankfurt. Ihre Lust am Schreiben lebte sie eine Zeitlang im Leser-Forum „Opinio“ der Rheinischen Post aus. Am liebsten schreibt sie Storys über Menschen und Geschichten mit emotionalem Tiefgang. In ihrer Freizeit spielt sie Geige und Tennis und begleitet ihre Kinder auf dem Weg zum Erwachsensein.

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